Geschrieben von: Dr.med. Ralph Krolewski /Dr.med. Thomas Aßmann
BREITE ABLEHNUNGSFRONT DER VERTRETUNGSORGANE DER NORDRHEINISCHEN
ÄRZTESCHAFT
Innerhalb von 9 Tagen nach dem Urteil des Landessozialgerichts Essen vom 20.11.2013 („Keine Beratung vor Regress bei Überschreitung von 25% der Richtgrüßen sondern gleich Regressverfahren“) haben sowohl die Ärztekammerversammlung Nordrhein und die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein unter Hinweis auf das unerträgliche ethische Dilemma klare Beschlussfassungen gegen die Regress-Bedrohungen
getroffen:
– Alle rechtlichen Möglichkeiten dagegen sollen ausgeschöpft werden
– Der Vorstand der KVNO soll die Prüfvereinbarungen mit den Kassen kündigen
– Die Politik soll die Regrese abschaffen
– Der Grundsatz „Beratung vor Regress“ muss gewahrt bleiben. So steht es im Gesetz !
PRÜFVERFAHREN DUBIOS?
Die jetzigen Prüfvereinbarungen in Nordrhein gelten seit 2008 hinsichtlich der Verfahrensgrundsätze und der Einrichtung der Gemeinsamen Prüfungseinrichtung.
Nach Regressbescheid erhalten die Betroffenen die Gelegenheit zur Stellungnahme zu „Praxisbesonderheiten“ mit Verhandlung vor dem „Beschwerdeausschuss“. Dieser ist paritätisch mit Mitgliedern der Kassen und der KVNO besetzt. Ein unabhängiger Vorsitzender ist bei Stimmengleichheit entscheidend. Ihm obliegt die Verhandlungsführung. Ebenfalls vertritt er die Gemeinsame Prüfstelle vor Gericht.
Die gesetzliche Grundlage dazu ist die Wirtschaftlichkeitsprüfungsverordnung von 1988:
http://www.gesetze-im-internet.de/wipr_fvo/__2.html
In diesem Verfahren , da es durch nichtärztliche Mehrheiten dominiert wird (Kassenvertreter +
Vorsitzender) liegt eine grundätzliche Verletzung der Deklaration des Weltärztebundes von Madrid
(1987) zu „Selbstverwaltung und Autonomie“ vor: s.WMA-Handbuch in der von der Bundesärztekammer autorisierten Übersetzung S. 14 ff.
http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/handbuchwma.pdf
Die Art des Prüfverfahren übt massiven Druck auf die Betroffenen aus und hat -so müssen wir aus Erfahrungsberichten vermuten – eine massiv einschüchternde Wirkung bei gleichzeitig größter Unsicherheit hinsichtlich der Anerkennung von Praxisbesonderheiten aufgrund der Versorgungs-situation vor Ort und Hinwegfegen entsprechender Argumente im Beschwerdeausschuss mit dem Hinweis, dass die Rechts- und Gesetzeslage eindeutig sei: „Es zählt der Durchschnittsvergleich.“
GRUNDSÄTZLICHE POSITIONEN
Zu den berufsethischen Grundsätzen und der ärztlichen Verpflichtung , die Grundrechte der Patienten nach der Deklaration von Lissabon u.a. auf eine kontinuierliche Behandlung zu wahren und zur Präambel:
„Wenn Patienten diese Rechte durch Rechtsvorschriften, Maßnahmen der Regierung, der Verwaltungsorgane oder anderer Einrichtungen verwehrt werden, sollten Ärzte zur Sicherstellung oder Wiederherstellung dieser Rechte geeignete Maßnahmen ergreifen.“
hat der Vorsitzende des oberbergischen Hausärzteverbandes Dr. Krolewski in einem Redebeitrag bei der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein am 29.11.2013 hingewiesen und auf die Notwendigkeit, dass eine ärztliche Selbsverwaltung diese Grundsätze verteidigen muss, wenn sie durch die Rechtspraxis der Regresse bedroht werden.
REAKTION VON MdB JENS SPAHN
Kollege Paas aus Bergneustadt hat sich zum laufenden Prüfungsverfahren gegen ihn öffentlich geäußert und war Gegenstand eines Presseberichts. Auf ein Anschreiben des Kollegen an Bundestagsabgeordnete antwortete bislang MdB Herr Jens Spahn mit Hinweis auf den Willen des
Gesetzgebers zu „Beratung vor Regress“ und konkreten gesetzgeberischen Maßnahmen bei
„Langzeitverordnungen“:
„Zu den gesetzgeberisch konkreten Maßnahmen zählten u.a., dass Versicherte mit langfristigem Behandlungsbedarf die Möglichkeit erhalten haben, sich medizinisch notwendige Heilmittelbehandlungen auf Antrag von der Krankenkasse für einen geeigneten Zeitraum genehmigen zu lassen.
Die entsprechenden Verordnungen unterliegen dann nicht mehr den
Wirtschaftlichkeitsprüfungen und damit auch keinem Regressrisiko.“
Die Kassen in Nordrhein haben diese Maßnahme ausgehebelt, indem sie größtenteils auf den Genehmigungsvorbehalt verzichten, jedoch nicht auf die Wirtschaftlichkeitsprüfung !
http://www.kvno.de/10praxis/40verordnungen/20heilmittel/80genehmverzicht/index.html
Entweder kennen Kassen und KVNO nicht den Willen des Gesetzgebers oder MdB Jens Spahn nicht die Verhältnisse in seinem eigenen Bundesland !
Auch wieder eine offene Flanke für die Ärztinnen und Ärzte !
Kollege Paas hat dem MdB Spahn ausführlich geantwortet. Mit seiner freundlichen Erlaubnis ist diese Replik hier einsehbar:
https://drive.google.com/file/d/0ByEPndV2tmorYVhRQ082ZFRRbWM/edit?usp=sharing
WEITERER REGRESSFALL
Ein Kollege in unserem Kreis, der namentlich nicht genannt werden will, hat ebenfalls einen Arzneimittel-Regress über 60.000 Euro.
Sein Statement:
„Ich weiß nicht, wie das laufen soll. Natürlich klage ich dagegen. Derzeit werden mir 2.100 Euro monatlich abgezogen. Ich bekam 2.500 Seiten zum Lesen und das schafft man gar nicht, wenn man die Patienten versorgen will und sich auch nochmal ausruhen muss.“
„Ich schicke jetzt mehr Patienten zum Facharzt. Aber die kommen dann mit mehr Verordnungen zurück mit der Mitteilung des Facharztes, dass der Hausarzt das weiter verordnen soll. Das ist Wahnsinn. Wir sollen alles tragen und werden dann zum Ziel von Regressen.“
ABSCHRECKUNG DES NACHWUCHSES
Kollegin Groteneuer, Ärztin in Weiterbildung für Allgemeinmedizin im Oberbergischen in der
Praxis Paas, sagte kürzlich vor laufender Kamera, dass das bei ihrem Chef miterlebte Prüfverfahren
eine abschreckende Wirkung habe.
Statt Motivation des dringend benötigten Nachwuchses Abschreckung durch die Rechtspraxis !
Wer sind die Gewinner, wenn es keinen Nachwuchs mehr gibt ?
BREITE BÜRGERBEWEGUNG
Die Bürgerinitiative „Wir für Blettenberg“ hat sofort die Initiative für ihren Hausarzt Blettenberg
ergriffen: Petition mit 4.000 Unterschriften, Öffentlichkeitsarbeit, Besuch bei Krankenkassen und
eine fortlaufende Dokumentation bei www.lindlarer.de.
Mit dem ersten Pressebericht zum bedrohlichen Regress gegen den Kollegen Blettenberg wurde die Mauer des Schweigens um Regressverfahren durchstoßen und eine zunehmend breite Öffentlichkeit interessiert sich jetzt zu den Vorgängen und Hintergründen.Die Bürgermeister von Lindlar und Gummersbach, der Landtagsabgeordnete Biesenbach und der Bundestagsabgeordnete Flosbach schalteten sich ebenfalls ein und besuchten Anfang September 2013 den Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein , allerdings ohne Ergebnis, denn nach Stellungnahme des Vorstandes der KVNO liegt die Verantwortung für das Verfahren ausschließlich bei der Prüfeinrichtung .
Frau Ina Albowitz, frühere parlamentarische Geschäftsführerin der FDP-Bundestagsfraktion und noch aktive Kommunalpolitikerin wandte sich direkt an Gesundheitsminister Bahr, der sich deutlich äußerte: „Vertragsärzte sollen medizinisch notwendige Leistungen verschreiben können, ohne
befürchten zu müssen, in Regress genommen zu werden“, so Bahr gem. einer Pressemeldung.
Die Entwicklung dieses Regress-Falls wird vom Oberbergischen Hausärzteverband fortlaufend dokumentiert unter:
http://www.hausaerzte-oberberg.de/aktuelles/engagement-wird-bestraft-bedrohlicher-regress/
SCHLIMMER GEHT IMMER
Am 28.11.2013 berichtete die Abteilungsleiterin für Sicherstellung der KVNO im Gesundheitsausschuss des Oberbergischen Kreises zu den Grundsätzen der Bedarfsplanung und
insbesondere für den hausärztlichen Bereich. Aktuell sind 8,5 Plansitze im Mittelbereich Gummersbach und 4 im Mittelbereich Waldbröl nicht besetzt (akueller Versorgungsgrad damit ca. 100 Prozent)
Auf die Frage, wann denn eine Unterversorgung festgestellt würde, lautete die Antwort:
“Ab 75 Prozent wird geprüft, ob eine Unterversorgung vorliegt.“
Dieses bedeutet , dass in einem Versorgungsgebiet mit 12 Hausarztpraxen 3 wegfallen können, ehe
eine Unterversorgung geprüft wird.
Der Vorsitzende des Hausärzteverbandes im Oberbergischen Kreis als sachkundiger Bürger im Ausschuss wies darauf hin, dass 3 Hausarztpraxen im Oberbergischen ca. 360 schwer und
,multimorbide Kranke betreuen, die 70 v.H. der Arbeitszeit erfordern. Wenn allein diese Patientengruppe durch umliegende Praxen versorgt werden müsste, stiege dadurch alleine die Wochenarbeitszeit um 14 Stunden bei aktuell ca. 60 Stunden, ganz zu schweigen von den anderen Patientengruppen. Bereits jetzt signalisieren die Kollegen in den Qualitätszirkeln, dass sie nicht
mehr Patienten versorgen können. Allein bei 25% wegfallenden Praxen wegen fehlendem Nachwuchs seien massive Auswirkungen sowohl auf den fachärztlichen Bereich, den stationären Bereich und den Rettungsdienst anzunehmen und unversorgte Patientengruppen zu befürchten.
Da alle behandelnden Ärzte den Patienten gegenüber Sorgfaltspflichten haben, kann weder die zeitliche Belastung erhöht noch eine Beschleunigung der Behandlung erzwungen werden.
Ebenfalls nehmen der Behandlungsdruck und damit auch Regressgefahren zu, wenn Facharztpraxen vor Ort wegfallen (s. Wegfall der nervenärztlichen Gemeinschafts-Praxis in Gummersbach 2008 und Regressfolgen für den Kollegen Blettenberg).
WAHNSINNIG UND ABERWITZIG
„ZDF-Drehscheibe“ berichtete am 03.12.2013 zum Fall Blettenberg.
Der Moderator zu Beginn: „Unser Gesundheitswesen spinnt manchmal , wie der folgende Fall
zeigt.“ Es wird ausführlich dargestellt, wie Kollege Blettenberg nach Wegfall der betreuenden Nervenarztpraxis in der Heimversorgung mit Heilmitteln einsprang (das Rundschreiben der KVKreisstelle von 2008 wird gezeigt) und jetzt einen Riesen-Regress am Hals hat. „Man wacht morgens mit Sorgen auf und geht abends mit Sorgen schlafen.“
Mitglieder der Patienteninitiative werden interviewt: „Es ist unverschämt und absolut unverständlich.“
Danach der Bürgermeister Helmenstein von Gummersbach: „Es ist absolut aberwitzig. Man kann es nicht verstehen. Wenn Herr Dr. Blettenberg jetzt Neurologe wäre, würden für ihn ja keine
Budgetgrenzen nach der Heilmittelverordnung gelten. Da er aber Allgemeinmediziner ist, dreht man
ihm jetzt einen Strick.“
Kommentar des Redakteurs: „Da die Verordnungspraxis des Allgemeinmediziners nicht von der des
Neurologen abwich, entstanden keine höheren Kosten. Finanziell also ein Nullsummenspiel. Da der verordnende Arzt aber Allgemeinmediziner ist, spülen die Regresse aber Geld zurück ins
System.“
Statetement des Vorsitzenden des oberbergischen Hausärzteverbandes: “Die Gewinner dabei sind die Krankenkassen. Sie stellen häufig die Prüfanträge und die Regresssummen fließen an die
Krankenkassen zurück.“
Abschließende Bemerkung des Moderators: „Irre!“
BAYERN BEWEIST: DURCHSCHNITTSWERTE SAGEN NICHTS ÜBER DIE VERSORGUNG
AUS
Im Auftrag des Vorstandes der KV Bayern wurden in Landkreisen und Städten
Heilmittelverordnungen ausgewertet. Es zeigte sich, dass Hausärzte mehr verordneten und dadurch in Regresse gerieten, wenn die neurologische Versorgung unterdurchschnittlich war. Die Verordnungen folgten medizinischen Kriterien, bevölkerungsbezogen waren die Verordnungen gleich. Durch diese Untersuchung wurde bewiesen, dass Durchschnittswerte ohne Berücksichtigung der Versorgungsstruktur vor Ort eine massive Regress-Gefahr für hausärztliche
Versorgerpraxen darstellen, wenn sie Versorgungsaufgaben übernehmen.
Damit sind sowohl die Prüfpraxis als auch die zugrundeliegende Gesetzesbestimmung des §106
SGB V nach Durchschnittswerten in Frage gestellt.
VERMEIDBARE STERBLICHKEIT
Am 30.09.2013 stellte die Kassenärztliche Vereinigung den Versorgungsreport vor, der bis 2030 gerade für den hausärztlichen Bereich massive Einbrüche insbessondere für die Landkreise prognostiziert.
http://www.versorgungsreport.de/
Bei der Vorstellung des Reports gab es mehrere Fachreferate. Frau Prof. L. Sundmacher der Maximilian-Universität München berichtete von einer überdurchschnittlichen vermeidbaren
Sterblichkeit insbesondere in den Landkreisen in Nordrhein.
Man kann davon ausgehen, dass mit Einbruch der hausärztlichen Versorgung diese weiter zunehmen wird, ohne dass dieses durch andere Strukturen aufgefangen werden kann.
Wer Versorgerpraxen in den Landkreisen durch Regresse nach Kriterien, die nicht
Versorgungsgesichtspunkten folgen, in den Ruin treibt, treibt die Entwicklung der vermeidbaren Sterblichkeit noch voran !
Gummersbach, Lindlar, den 06.12.2013
Dr.med. Ralph Krolewski / Dr.med. Thomas Aßmann